Kontrolle ist gut

28 08 2012

„Das habe ich mir immer ganz anders vorgestellt – keine Sonnenkollektoren, keine gedämmten Wände und nirgends Wärmepumpen oder isolierende Fenster.“ Muckelmann lächelte überlegen. „Und wo sind wir hier?“ „Im Energiesparhaus“, antwortete ich irritiert. „Warum heißt das so?“ Da ich nicht begriff, worauf der Physiker hinauswollte, überlegte ich nicht lange. „Weil es Energie spart?“ Er lachte meckernd. „Falsch!“ Aber was dann? „Weil Sie hier lernen, wie Sie Energie sparen.“

Der Raum mutete an wie ein ganz normales Wohnzimmer. Eine Couchgarnitur war rund um den flachen Tisch aufgebaut, gegenüber stand eine Schrankwand, in deren Aussparung ein Fernseher den Fluchtpunkt der Innenausstattung bildete. Eine Deckenleuchte verströmte behagliches Licht, zwei Wandlampen beleuchteten die Bilder. Etwas sirrte leise im Hintergrund; es war jedoch so leise, dass man nicht genau ausmachen konnte, ob es wirklich im Hintergrund war oder doch schon in einem benachbarten Raum. Ich nahm auf der Couch Platz. „Sie müssen sich natürlich das entsprechende Haus um dieses Zimmer herumdenken“, klärte mich Muckelmann auf. „Die Waschmaschine und der Geschirrspüler sind höchster Energieeffizienz, in sämtlichen Räumen finden Sie nichts als Sparbirnen und automatisch abschaltbare Steckdosen, damit Sie nachts keinen Strom für den Stand-by-Betrieb des Fernsehers zahlen müssen. Die Folgen können Sie sich ja ausmalen.“ Ich ließ meinen Blick durch das behaglich eingerichtete Zimmer schweifen und nickte entspannt. „Die Stromkosten lassen sich leicht senken.“ Er lachte wieder sein meckerndes, provozierendes Lachen. „Falsch! Eine technische Neuerung, die Stromersparnis verspricht, führt mit Sicherheit zum Mehrverbrauch.“ „Das verstehe ich nicht“, wandte ich ein. „Wie kann man mit immer mehr Möglichkeiten zum Sparen den Verbrauch steigern?“ „Durch Kontrollverlust.“

Das Geräusch hatte sich unterdessen zu einem unangenehm hohen Pfeifton verdichtet, der aus dem Boden zu kommen schien. „Nehmen wir nur einmal diesen Fernseher.“ Der Energiesparhausmeister deutete auf das Gerät. „Kaum haben Sie sich einen sparsamen Flachbildschirm gekauft, schalten Sie ihn zu jeder Zeit ein und lassen dabei sämtliche Lichter brennen, weil Sie ja schon durch den Fernseher so viel Strom sparen. Und dazu haben Sie die Energiesparleuchten, weshalb Sie ja mehr Strom für den Fernseher aufwenden können. In der Summe werden Sie die Kontrolle über Ihren Verbrauch verlieren, weil Sie nicht mehr merken, was Sie verbrauchen.“ Das Pfeifen schwoll an; noch war es möglich, sich zu unterhalten, aber man konnte den Laut nicht mehr ignorieren. „Es wird lauter“, erläuterte Muckelmann. „kontinuierlich lauter. In gut einer Stunde wird man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Beim aktuellen Energieverbrauch dient uns dieses Signal als Messinstrument. Je mehr Sie den Durchschnitt überschreiten, desto unangenehmer wird es. Bis Sie den Fernseher freiwillig abschalten.“

Muckelmann erhob sich aus seinem Sessel und öffnete die Tür. „Kommen Sie“, forderte er mich auf, „hier haben wir etwas ganz Interessantes, das wird Ihnen bestimmt gefallen.“ Ich folgte ihm. Der Raum sah nicht anders aus, doch es war eindeutig schummeriger. Muckelmann stand in der Mitte des Raumes und schaute zum Fenster. Täuschte ich mich, oder nahm das Licht tatsächlich ab? „Sie haben ganz richtig beobachtet“, bestätigte er. „Es wird ganz langsam dunkler, und irgendwann ist es plötzlich ganz weg.“ „Eine merkwürdige Idee“, befand ich, „und was ist das Moderne daran?“ Er schmunzelte. „Gar nichts.“ „Aber dies soll doch den modernen Umgang mit der Energie darstellen“, fragte ich, „wie können Sie dann unmoderne Mittel verwenden?“ Muckelmann rückte sich die Brille zurecht. „Weil sie wirken, mein Freund. Weil sie schon immer gewirkt haben. Effizienz, das ist der Schlüssel zum Erfolg, so sagt man doch heute an jeder Straßenecke? Dann nehmen wir eben die effizientesten Mittel, die es gibt: das, was schon immer so war und sich auch nie ändern wird. Wie haben Menschen früher ihre Häuser beleuchtet?“ Ich überlegte. „Da gab es Gasleitungen, und wenn man die Lampen anzünden wollte, musste man…“ Er winkte ab. „Früher. Noch früher. Ganz früher, als Energie noch genauso kostbar war wie heute.“

Auch in diesem Zimmer war ein Zähler in die Wand eingelassen. „Sie sehen hier das übliche Leistungsspektrum einer ganz normalen Kerze“, erklärte Muckelmann. „Falls Sie fragen: ja, es ist eine Haushaltskerze aus Stearin, aber ich stelle das für Sie auch gerne auf eine Wachskerze um.“ „Ich verstehe, das Feuer – Brennstoff war knapp, die Leuchtmittel auch.“ Er nickte. „Kienspan, dann Kerzen, Petroleum, und lange danach wurden Gas und Elektrizität verwendet. Der Unterschied ist, dass Sie nicht mehr sehen, wie Strom fließt. Er ist da, man knipst die Lampe an und lässt sie drei Tage lang leuchten, weil kein Docht niederbrennt und kein Öl zur Neige geht. Man muss es für die Menschen erst simulieren.“ Plötzlich flackerte das Licht, und schon standen wir beide im Dunklen. Ich tastete mich langsam vorwärts und erreichte die Wand. Muckelmann stieß sich die Schienbeine am Couchtisch. Fluchend humpelte er in meine Richtung. „Sie sehen“, zischte er zwischen den Zähnen, „es funktioniert. Sie werden es lernen, weil sie es lernen müssen. Und dann starten wir das nächste Projekt.“ Er fasste nach dem Türgriff, den er nur um Haaresbreite verfehlte. „Ein Haus für die Demokratie.“


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4 responses

28 08 2012
George

Faszinierend! ich habe eben über diesem Konzept gebrütet und bin zu dem Schluß gekommen daß der Lerneffekt sich sogar noch steigern ließe, indem man die Energieträger in ihrer ursprünglichen, also prä-fossilierten Form zur Verfügung stellt.
Das hieße dann nach meinen Berechnungen pro Zimmer ein Dinosaurier, und je ein Dutzend Farne und Schachtelhalme.
Für Räume unter 20 qm wie Badezimmer und Abstellkammer würde ein kleiner Raptor genügen.

Ihnen, Herr Bee, biete ich den Eistieg in dieses Geschäftsmodell gegen eine relativ geringe finanzielle Beteiligung an. Bitte entscheiden Sie sich schnell, bevor Apple sich das Konzept patentieren lässt!

28 08 2012
bee

Lassen Sie mich über das Angebot noch etwas grübeln. Mir würde ein integriertes Lernmodul sehr zusagen, z. B. Stromschläge als zusätzliche Erinnerungshilfe. Gerne auch mit Multitouch-Oberfläche.

28 08 2012
George

Oh ja, das ist eine hervorragende Idee. Ich werde gleich bei Apple anrufen, ob wir eine Lizenz dafür bekommen können.
Als Gegenleistung werde ich anbieten daß wir Steve Jobs als Sedimentschicht mit einbetten, dann ein paar Saurier drauf, und in einigen Millionen Jahren haben wir reinstes iOil.
Muaha, dann werden die Saudis aber dumm gucken!

28 08 2012
bee

Den Rest der Energiekrise retten wir durch iMails. Wo wir so viele Tauben herkriegen, klären wir später.

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